Studenten als Wanderer zwischen Lebenswelten

Ein Beitrag von Beyza Saritas

Student sein, heißt studieren: Aber das war einmal. Heute heißt Student sein, wandern zwischen Welten, hin- und hergerissen sein zwischen Studium, Beruf, Freunden und Familie. Schlafen bis 12 Uhr mittags, dabei nur Vorlesungen drei Tage die Woche? Die Idee des klassischen Studenten ist Geschichte. Im Rahmen der Vortragsreihe “Heterogenität: Vermittlung von Schlüsselkompetenzen zwischen Anspruch und Wirklichkeit?”, die sich mit der heutigen Studentenwelt, und ihrer Auswirkung auf das Berufsleben befasst, hat Alexa Maria Kunz einen Vortrag mit dem Titel “ECTS sind mein Gemüse – Einblicke in studentische Lebenswelten” gehalten. Kunz ist Soziologin am Karlsruher Institut für Technologie.

Direkt zu Beginn wird klar: Verschiedene Studiengänge bestimmen verschiedene Identitäten. Es gibt nicht denEinblick in studentische Lebenswelten. So, wie es nicht dentypischen Student gibt, sondern unterschiedliche Typen. Convenience-Studenten zum Beispiel legen Wert auf Komfort, möchten die Unizeit zu einer Lebensphase machen, die ihnen positiv in Erinnerung bleibt. Entspannung und Ausgleich sind ihnen wichtig. Ganz anders sieht es aus bei Efficializing-Studenten. Effizienz und Organisation stehen hier an der Tagesordnung. Pausen werden genutzt, um noch mehr zu arbeiten.

Je nachdem, welches Studienfach man studiert, gehört man tendenziell eher der einen, oder der anderen Gruppe an. Physikstudenten sind diesbezüglich sogar ambivalent, je nach Lust und Laune convenient oder efficient. Wirtschaftsingenieure sind oft Efficializing-Studenten. „Work hard, play hard“, wie es Dr. Kunz beschreibt. Sie schreiten durch das Studium mit Blick auf das Berufsleben. Versagen? Fehlanzeige. „Ein Tabu“, sagt Dr. Kunz. Was zählt, ist eine gute Kosten-Nutzen-Rechnung, möglichst viel Engagement auf dem Lebenslauf. Beinahe ein Viertel der Wirtschaftsingenieure an der KIT lernt zwischen 40-60 h die Woche in den Semesterferien. Konsequenz: Schnell wird die Lebenswelt Studium zum Mittelpunkt.

Doch oft ist dies nur eine der vielen Lebenswelten, die Studenten wie Bälle jonglieren müssen. Nebenbei werden noch Nebenjobs gemanaget, fünf Hausarbeiten geschrieben, zahlreiche Pflichtveranstaltungen absolviert. Ob das gesund ist? „Nein, das ist es nicht“, muss auch Dr. Kunz zugeben. Die Zahl der Studenten mit psychischen Erkrankungen ist hoch, steigt von Jahr zu Jahr. Was man machen könne? Studenten unterstützen, Strukturen verändern.

„Wenn wir wissen, dass der Aufenthalt bei der Familie am Wochenende den Studenten guttut, sie entlastet, dann muss es unser Anspruch sein, dies auch zu ermöglichen. Man könnte unter anderem dafür sorgen, dass Seminare am Freitag um spätestens 13:00 Uhr enden “, so Kunz.

Doch auch, wenn die Studenten verschiedener Studiengänge divergieren, teilen sie auch einige Gemeinsamkeiten. Dass es kaum Studenten gibt, die versuchen, verzweifelt Creditpoints zu sammeln, und den Formalitäten ihrer Studiengänge gerecht zu werden, hebt die Soziologin dabei besonders hervor. Die Studenten von heute sind oft sehr pflichtbewusst, manchmal vielleicht zu sehr, lässt sie durchblicken. In einem System, in dem man ihnen Bürokratie vor die Nase hält, bleibt ihnen laut Kunz oft keine andere Möglichkeit, als bürokratisch zu antworten. Studenten als Manager.

Wie kommt es dazu? Kunz betont, dass die Studenten gar nicht anders können, als neue Schlüsselkompetenzen in ihrer Stresssituation zu entwickeln. „Höher, schneller, weiter – das ist ein Konzept, das uns die Gesellschaft vorschreibt“, gibt Dr. Kunz schulterzuckend zu. „Die Uni ist ein Spiegel der Gesellschaft. Auch wenn Personaler behaupten, dass Ihnen an Charakter und Motivation etwas liegen würde, so wird doch letztlich der eingestellt, der das Studium in Regelstudienzeit absolviert hat.“

Alfred Schütz, der den Lebenswelt-Begriff maßgeblich prägte, beschrieb die alltägliche Lebenswelt als „Wirklichkeitsregion, in die der Mensch eingreifen und die er verändern kann“. Kunz Vortrag macht klar, dass die Richtung, in die sich die Gesellschaft und Lebenswelt Uni bewegt, nicht die Richtige ist.